Die Anforderung, Niederspannungsmotoren großer Leistung mit einem möglichst geringen Strom anzufahren, wird häufig an die Hersteller von elektronischen Anlaufstrombegrenzungen herangetragen. Im Folgenden wird ein Verfahren beschrieben, mit dem sich der Anlauf von Elektromotoren großer Leistung realisieren lässt. Das Verfahren basiert auf einem elektronischen Sanftanlaufgerät und einer Stern/Dreieckschaltung.
Der Autor Dr. John P. Gibson ist Produktmanager und Technischer Leiter der Kimo Industrie-Elektronik GmbH, Erlangen
Inhaltsverzeichnis
1. Grundsätzliches Problem beim Einschalten von Elektromotoren
2. Lastmoment und die Auswahl des Elektromotors
3. Elektrische Schaltung und Funktionsweise
4. Anlauf von Elektromotoren großer Leistung
Die Anlaufstrombegrenzung von Elektromotoren im Bereich einiger 100 kW mit schwachen Versorgungsnetzen bereitet große Probleme. Der Aufwand und die laufenden Kosten einer verstärkten Energie-Einspeisung können relativ hoch sein. Dies gilt insbesondere im Ausland in abgelegenen Gebieten ohne ausgebautes Versorgungsnetz. In Zusammenhang mit Inselnetzen mit Diesel-Generator-Sätzen bzw. Installationen, die mit Notstrom-Generatoren versorgt werden, ist der Aufwand für die Bereitstellung der notwendigen Anschlussleistung zum Anfahren besonders gravierend.
Grundsätzliches Problem beim Einschalten von Elektromotoren
Bedingt durch das hohe Investitionsvolumen von Diesel-Generator-Sätzen wird versucht, mit der kleinstmöglichen Generatorleistung auszukommen. Hierzu kommt die Problematik, dass solche Generatoren relativ hohe Reaktanzen haben – das Zu- und Abschalten von großen Motoren erzeugt große Spannungsschwankungen, die bei normalem Netzbetrieb unbekannt sind. Es ist zwingend notwendig, eine Anlaufstrombegrenzung optimiert für den Anlauf mit einem möglichst geringen Strom zu konzipieren. In der folgenden Ausarbeitung wird der Anlauf eines relativ großen Kälte-Verdichters mit einer elektrischen Leistung von 200 kW näher betrachtet.
Lösungsansatz: Zunächst werden die verfügbaren Verfahren zur Anlaufstrombegrenzung mit ihren typischen Anlaufströmen betrachtet, siehe Tabelle 1.
Energieeffizienz durch Frequenzumrichter und Softstarter
Keines der Verfahren 1. bis 3. erfüllt die oft gestellten Forderungen eines Anlaufstromes von 150 % des Nennstroms. Der Aufwand eines Frequenzumrichters (Verfahren 4.) mit Einbau ist meist viel zu hoch.
Dazu kommt die Problematik des relativ hohen Anteils an Netz-Oberschwingungen, die bei schwachen Netzen oder im Inselnetzbetrieb erhebliche Schwierigkeiten bereiten können. Bei dem hier beschriebenen Verfahren 5. werden die Eigenschaften einer Stern/Dreieckschaltung (relativ geringer Anlaufstrom) mit den Vorteilen eines elektronischen Sanftanlaufgerätes (weitere Reduzierung des Anlaufstromes, stoßfreies Umschalten usw.) kombiniert.
Lastmoment und die Auswahl von Elektromotoren
Voraussetzung für den Anlauf mit einem geringen Strom ist eine möglichst große Reduzierung des Anlaufmoments der Last. An der Physik des elektrischen Motors kommt man nicht vorbei – in erster Näherung ist das Drehmoment proportional dem Strom im Quardrat – nur eine Reduzierung des Lastmoments bringt die notwendige Voraussetzung für Anlauf mit geringem Strom.
Typische Beispiele für die Reduzierung des Lastmoments sind:
– Schraubenkompressor: Schieberegelung/Bypass
– Kolbenkompressor:Bypass im Kältekreislauf, Ventilsteuerung
– Lüfter: Anlauf mit geschlossenen Jalousien
In der Annahme, dass es möglich ist, das Anlaufmoment auf ca. 40 % des Nennmoments zu reduzieren, liegen ideale Voraussetzungen für den Einsatz dieses neuen Verfahrens vor.
Der Auswahl des Motors ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die Gestaltung des Läufers sollte ein möglichst hohes Anlaufmoment im Bereich des Sattelmoments bei einem gleichzeitig geringen Anlaufstrom aufweisen.
Elektrische Schaltung und Funktionsweise
Bild 1 zeigt die Leistungsschaltung, welche mit einer Stern/Dreieck-Schaltung viele Ähnlichkeiten aufweist. Ein elektronisches
Sanftanlaufgerät auf Basis einer Phasenanschnitt-Steuerung ist parallel mit dem Dreieckschütz verdrahtet.
Der Anlauf erfolgt in drei Phasen:
– Anlauf in Stern mit Schütz K3 geschlossen. Der Anlaufstrom wird mittels der integrierten Strombegrenzung des Sanftanlaufgerätes (siehe externe Stromwandler) auf ca. 150 % des Motor-Nennstromes begrenzt. Am Ende des erfolgten Hochlaufs fällt der Strom unterhalb des Begrenzungswerts und das Gerät meldet „Hochlaufende“
– Schütz K3 wird geöffnet und unmittelbar danach Schütz K2 geschlossen (ohne übliche Pause wie bei einer konventionellen Stern/Dreieck-Schaltung). Gleichzeitig wird der Steuerwinkel des elektronischen Sanftanlaufgeräts begrenzt. Somit wird die Umschaltstromspitze typisch für eine Stern/Dreieck-Umschaltung weitgehendst vermieden. Der Steuerwinkel des elektronischen Sanftanlaufgerätes läuft wieder hoch und das Gerät meldet nach kurzer Zeit den erfolgten Anlauf in Delta.
– In dieser letzten Phase wird Schütz K1 geschlossen und das Sanftanlaufgerät überbrückt. Der Antrieb kann jetzt voll belastet werden.
Der Einsatz des Überbrückungsschützes K1 hat folgende Vorteile:
– Nach dem erfolgten Anlauf gibt es keine zusätzliche Verlustleistung im Schaltschrank
– die Notwendigkeit einer aufwendigen Kühlung mit der Problematik der Aufrecherhaltung der Schutzart entfällt
– Das elektronische Sanftanlaufgerät muss lediglich für den kurzzeitigen Anlaufstrom von ca. 150 % Nennstrom ausgelegt werden. Ein relativ kleines Gerät kann für Antriebe großer Leistung eingesetzt werden
– Durch Einsatz einer empfohlenen Steuerschaltung kann die Lebensdauer der Schützkontakte durch annähernd stromloses Schalten nennenswert erhöht werden.
Anlauf von Elektromotoren großer Leistung
Bild 3 zeigt ein elektronisches Sanftanlaufgerät, das für den Anlauf von Motoren in kombinierter Schaltung bis zu 250 kW geeignet ist. Bemerkenswert sind die kompakten Abmessungen für ein Sanftanlaufgerät dieser Leistung.
Alle notwendigen Steuerfunktionen für die Ansteuerung der drei Schütze sind in diesem Gerät integriert, lediglich ein externes Zeitrelais ist notwendig.
Das abgebildete Gerät ist in der Lage, innerhalb eines großen Toleranzbereiches der Netzspannung zu arbeiten:
– Steuerspannung: 2AC 110 V – 15 % bis 400 V + 10 %
– Netzspannung: 3AC 110 V – 15 % bis 500 V + 10 % bzw. 3AC 400 V – 15 % bis 690 V + 10 %
mit automatischer Selbstanpassung. Somit ist der Betrieb mit schwachen Netzen mit großen Spannungstoleranzen unproblematisch.
Das beschriebene kombinierte Verfahren wurde im Leistungsbereich 75 bis 400 kW bei vielen Installationen weltweit erfolgreich eingesetzt. Als Beispiel zeigt Bild 4 den Einsatz zum Sanftanlauf eines Kompressors mit 400 kW Nennleistung.
Der Einsatz dieses vorgestellten kombinierten Verfahrens ist für alle Maschinenarten geeignet, bei denen es möglich ist, das Lastmoment unter ca. 50 % des Nennmoments zu begrenzen. Beispiele von geeigneten Maschinen sind:
– Verdichter, Kompressoren,
– Häcksler sowie
– Mühlen und Brecher.
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