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Gleit- oder Wälzlager? Teil 2

Trendinterview Teil 2
Gleit- oder Wälzlager? Teil 2

Gleit- oder Wälzlager? Teil 2
Gleitlager bieten vor allem in rauen Umgebungen Vorteile Bild: Igus
Gleitlager können inzwischen teilweise die Aufgaben von einfachen Wälzlagern übernehmen. Wir haben uns mit Experten zusammengesetzt und nachgefragt, welche Technik wo ihre Vorteile ausspielen kann und was die Hersteller aktuell in ihrer Pipeline haben.

Interview: Tobias Meyer, freier Mitarbeiter der KEM Konstruktion

KEM Konstruktion: Wann bieten Gleitlager Vorteile?

René Achnitz (Igus): Die bewegten Anwendungen, in denen unsere Polymer-Gleitlager eingesetzt werden, sind äußerst vielfältig. Das reicht von der Verpackungsmaschine über medizintechnische Apparaturen bis hin zum Automobil. Dabei sind die Anforderungen, die die Lager erfüllen müssen, recht unterschiedlich. So geht es im Ventilator um eine hohe Verschleißfestigkeit bei schneller Rotation, in einer Baumaschine eher um hohe Belastungen und Schmutzresistenz. Daher hat der Kunde bei uns die Auswahl aus über 50 Werkstoffen für seine Anwendung und kann dank der Online-Konfiguratoren das für ihn richtige Lager schnell finden und die Lebensdauer berechnen. In den meisten Fällen sind es jedoch die Allrounder, die die Kunden einsetzen und die die meisten Herausforderungen lösen.

Dirk Nienhüser (Schaeffler): Kunststoffgleitlager bieten sich bei geringen spezifischen Belastungen an. Bei geringen Gleitgeschwindigkeiten arbeiten Kunststoffgleitlager selbstschmierend und lassen eine einfache Umgebungskonstruktion zu. Mit der gezielten Auswahl der Kombination aus Gleitlagerwerkstoff, Wellenwerkstoff und Schmierung lassen sich Wärmeabfuhr und Reibung beeinflussen. Kunststoffgleitlager wirkend dämpfend und vibrationsabsorbierend, was gegenüber den Wälzlagern ein herausstechender Vorteil ist. Die Gleitschichten, vornehmlich aus Polytetrafluorethylen (PTFE) bestehend, werden vorzugsweise bei kleinen Gleitgeschwindigkeiten eingesetzt, sind jedoch deutlich tragfähiger durch die Einbettung des PTFE in stabile und hochtragfähige Stützmatrizen aus Glasfaser, Gewebe, Harzen, oder Sinterbronzen.

Klaus Findling (Findling): Wie vielfältig die Anwendung von Gleitlagern mittlerweile ist, lässt sich gut am Beispiel von gerollten Verbundgleitlagern illustrieren. Sie bestehen – von außen nach innen – aus einem Trägerwerkstoff, einer Zwischenschicht und einer Gleitfläche. Während die Zwischenschicht aus Sinterbronze ausgeführt ist, besteht bei den Trägerwerkstoffen die Wahl zwischen Bronze, Edelstahl oder verkupfertem bzw. verzinntem Stahl. Noch weiter geht die Flexibilität bei den Gleitflächen: Schichten aus PTFE z. B. besitzen gute mechanische Gleit- und Schmiereigenschaften, leiten Wärme und lassen sich in einem großen Temperaturbereich anwenden. Sie sind optional mit einem Zusatz von Blei, MoS2 und/oder Graphit realisierbar, dadurch erhöhen sich wiederum Haftfähigkeit und Glättung. Auch eine Kombination mit sogenannten PTFE-Compounds ist möglich: Glasfaser verringert die Kaltflusseigenschaften und verbessert das Reibungs- und Verschleißverhalten sowie die Druckfestigkeit. Die Zugabe von Kohlefasern hingegen resultiert u. a. in einer erhöhten Härte, einer guten Verschleißfestigkeit in Wasser sowie einer verringerten Druckdeformation. Damit sind die Optionen jedoch noch lange nicht ausgeschöpft: Alternativ lassen sich die Gleitflächen auch noch mit Acetalharz (POM), Fluorpolymeren oder einem Gemisch aus Polyetheretherketon (PEEK) und Carbon beschichten. Durch diese Verbundschicht, deren Verarbeitung und Schichtdicken erheblichen Einfluss auf die Lebensdauer haben, können sehr wirtschaftliche Gleitlagerungen konstruiert werden. Vorteile bietet der Werkstoff Kunststoff z. B. für Anwendungen von rotativen Lagern in Nassbereichen oder bei hygienisch sensiblen Einsatzfällen. Wenn hier die Anforderungen an die Lagerung nicht hoch sind, wenn also Axial- und Radiallasten sowie die Drehzahlen limitiert sind, können Kunststoffgleitlager eine Alternative zu Wälzlagern sein.

Holger Dietz (Oiles): Wir setzen im Bereich Non-metallic vorwiegend auf Composite-Lager, die aus Phenolharzen, speziellen tribo-optimierten Additiven und Faser- oder Gewebezusätzen bestehen, etwa unsere Fiberflon GH-Reihe. Diese werden verstärkt in Bereichen eingesetzt, wo schwierige Einsatzbedingungen vorherrschen, etwa im Wasserumfeld bei Hydro-Energieerzeugung, im Offshore-Bereich oder wo kein Metall als Lagerwerkstoff verwendet werden kann bzw. wenn elektrische Isolation notwendig ist oder wo Korrosionsprobleme zu erwarten wären.

KEM Konstruktion: Welche Weiterentwicklungen wird es bei den Gleitlagern geben?

Achnitz (Igus): Die Aufgabe in den kommenden Jahren wird auch sein, einerseits unsere Allrounder weiter zu verbessern, auf der anderen Seite wollen wir durch Spezialwerkstoffe ganz neue Anwendungsgebiete erschließen und die besonderen Anforderungen dieser sehr unterschiedlichen Branchen erfüllen. Darüber hinaus ergibt sich natürlich noch viel Potenzial bei den additiven Fertigungsverfahren, hier werden wir in den nächsten Jahren eine deutlich höhere Werkstoffvielfalt sehen.

Nienhüser (Scheffler): Kunststoffgleitlager kommen bei hohen Drehzahlen und langer Einschaltdauer an ihre Grenzen, daher gilt als Entwicklungsschwerpunkt die Reduzierung der Reibung bei geringstmöglichem Verschleiß.

Dietz (Oiles): Die künftigen Weiterentwicklungen im Kunststoffbereich werden andere, seit Jahrzehnten etablierte Lagerwerkstoffe wie Stahl, Sinter, Bronze oder Multilayer sicher nicht vollständig substituieren. Jedoch sehen wir den Markt an Composite-Materialien aufstrebend, weshalb wir hier mit unserer Fiberflon-Produktpalette bereits eine ganze Familie an Lagertypen entwickelt haben – und natürlich auch künftig verstärkt in diesem Bereich entwickeln werden. Im Fokus stehen hier die Standzeit-Verlängerung, die Steigerung des nutzbaren Lastspektrums, die optimierte Spreizung der thermischen Einsatzgrenzen sowie die Verwendbarkeit auch bei kleineren Oszillationsbedingungen. Integrierte Sensoren zwecks Online-Monitoring werden in Kürze verfügbar sein.

KEM Konstruktion: Wo bleiben Wälzlager das Maß der Dinge?

Haider (NKE): Wo niedriges Reibmoment, zulässiger axialer Versatz, unterbrochener oder nur gelegentlicher Betrieb und niedrigere Kosten durch Normierung erforderlich sind, bleiben Wälzlager im Vorteil gegenüber Gleitlagern.

Dietmar Rudy (Schaeffler): Das Wälzlager bietet Reibwerte von unter µ = 0,001 und damit die geringste Reibung, höchste Steifigkeiten und damit präzise Ablaufgenauigkeiten, minimales Spiel und extrem hohe Verfahrgeschwindigkeiten und Drehzahlen. Es gibt nicht das Maß der Dinge, wenn man beide Funktionsprinzipien miteinander vergleicht. Beide Lagergattungen haben ihre eindeutige Berechtigung und sind bei korrekter Auswahl anwendungsbezogen stets das Maß der Dinge. Wälz- und Gleitlager ergänzen sich ideal.

Findling (Findling): Zusätzlich kann Keramik als Werkstoff das Spektrum der Wälzlager ungemein erweitern: Wer einmal ein Keramiklager und ein Stahllager gleichzeitig in den Händen hielt, den überrascht der Gewichtsunterschied – das ist ein phänomenales Gefühl. Der Einsatz von keramischen Kugeln ist zwar erheblich teurer als konventionelle Kugeln aus Stahl, die Vorteile sind jedoch enorm. Die Flieh- und Trägheitskräfte sind erheblich geringer, die Grenzdrehzahl und Dynamik steigt. Notlaufeigenschaften entstehen in Verbindung mit einem Kunststoffkäfig und die früher befürchtete Sprödigkeit und Gefahr von Kugelbruch hat sich so in der Praxis nicht bestätigt. Einzig die kostenintensive Herstellung der Keramikkugeln verhindert, dass sich diese Technik bislang nicht in der breiten Masse durchsetzen kann. Vielleicht findet sich hier in der Zukunft aber noch eine Lösung.

Ralf Petersen (NSK): Im High-End-Bereich werden Wälzlager auf absehbare Zeit die Technologie der Wahl für rotative Lagerungen bleiben. Hier werden die Anwendungsbereiche immer weiter ausgebaut: Kontinuierliche Entwicklungen in der Fertigungs- und Werkstofftechnologie tragen dazu bei, neue anspruchsvolle Einsatzgebiete zu erschließen und Wälzlager zur Serienreife zu entwickeln, die noch höhere Belastungen und höhere Drehzahlen bei reduzierter Reibung beherrschen.

KEM Konstruktion: Welche Weiterentwicklungen werden wir bei den Wälzlagern noch sehen?

Rudy (Schaeffler): Die zunehmende Digitalisierung unserer Wälzlagerlösungen zeigt klar den Zukunftstrend: Das Wälzlager wird intelligent. Es liefert eine Vielzahl wichtiger Betriebsdaten wie Lasten, Temperaturen oder Verformungen. Mit sensorisierten Wälzlagern werden neue Regelkreise realisierbar. Das Wälzlager entwickelt sich so zu einer in die Betriebsstrategie von Maschinen systemintegrierten Komponente. Die erzielbaren Fortschritte hinsichtlich Produktivität und Verfügbarkeit sind beträchtlich. Parallel dazu geht natürlich die Entwicklung neuer Wälzlagerwerkstoffe, Wärmebehandlungen und Fertigungsverfahren weiter. Traditionell stehen hier höhere Tragfähigkeiten, Steifigkeiten und Drehzahlen im Fokus der Entwicklung.

Findling: Hinsichtlich Industrie-4.0-Wälzlagern sehen wir auch durchaus noch Entwicklungspotenzial bei den Zulieferern. So würden wir uns in diesem Bereich insbesondere Plug-and-Play-Lösungen wünschen. Es wäre erstrebenswert, Sensoren mit unterschiedlichsten Lagern – gerade auch verschiedener Leistungsklassen – kombinieren zu können. Mit unseren Partnern haben wir bereits solche Lösungen im Portfolio, allerdings können wir da noch nicht von Plug and Play sprechen. Ziel der Vernetzung von Wälzlagern ist eine einfachere Zustandsüberwachung. Das sehen wir sehr positiv. Denn wenn unsere Kunden durch Industrie 4.0 automatisch mehr über die Belastung und das Verhalten der Wälzlagertechnik erfahren, dann fließt das unweigerlich in eine optimierte Wälzlagerauswahl bereits in der Konstruktionsphase ein. Das sollte den Konstrukteuren die Vermeidung von Unter- und Überdimensionierung noch einfacher machen. Meist lernen die Konstrukteure nur durch Ausfälle oder aufwendige Leistungstest, die aber nicht den realen Einsatzbedingungen entsprechen. Echte Real-live-Daten sind da ein großer Gewinn. Man muss sein Wissen nicht mehr von Referenzen ableiten, sondern hat eigene Daten und damit eine optimale Entscheidungsgrundlage.

Haider (NKE): Neben immer exakterer Fertigung geht der Trend für Wälzlager in Richtung Vollintegration in das Produkt, d. h. in entsprechenden OEM-Anwendungen wird immer mehr der Lagerumgebung direkt vom Wälzlagerhersteller gefertigt. Die Lagerung samt Umgebungskonstruktion ist ohne Feinabstimmung direkt an den vorgesehenen Ort einzusetzen und weist für die Anwendung maßgeschneiderte Leistungsmerkmale auf.

Petersen (NSK): Trends sind auch die stetig höhere Leistungsdichte von Maschinen und Anlagen sowie die immer höheren Anforderungen an die Präzision. Um unter diesen Voraussetzungen praxisgerechte Lösungen zu entwickeln, benötigt man F&E-Kompetenz über die gesamte Wertschöpfungskette. Deshalb gehört die Werkstoffentwicklung zu den Kernkompetenzen von NSK, ebenso die Analyse und Simulation sowie die Tribologie. In unseren Zielmärkten spielt auch die Prozesssicherheit eine zentrale Rolle, also eine extrem geringe Quote von vorzeitigem Lagerausfall. Sie wird durch die erwähnten Entwicklungstrends sichergestellt, aber auch durch vorbeugende Instandhaltung, etwa durch die Integration von Sensortechnik in die Wälzlager. Das passt auch zum aktuellen Megatrend Industrie 4.0.

www.findling.com

www.igus.de

www.nke.at

www.nsk.com

www.oiles.de

www.schaeffler.de


„Wir wollen durch Spezialwerkstoffe neue Anwendungsgebiete erschließen und die besonderen Anforderungen der sehr unterschiedlichen Branchen erfüllen.“

René Achnitz, Leiter Geschäftsbereich Iglidur Gleitlager, Igus GmbH
Bild: Igus

„Neben immer exakterer Fertigung geht der Trend für Wälzlager in Richtung Vollintegration in das Produkt: In entsprechenden OEM-Anwendungen wird immer mehr der Lagerumgebung direkt vom Wälzlagerhersteller gefertigt.“

David Haider, Anwendungstechniker, NKE Austria GmbH
Bild: NKE

„Die Weiterentwicklungen im Kunststoffbereich werden etablierte Lagerwerkstoffe sicher nicht vollständig substituieren. Jedoch sehen wir den Markt an Composite- Materialien aufstrebend, weshalb wir auch künftig verstärkt in diesem Bereich entwickeln werden.“

Holger Dietz, Teamleader Industry/Key Account Manager, Oiles Deutschland GmbH
Bild: Oiles

„Hinsichtlich Industrie-4.0-Wälzlagern sehen wir auch durchaus noch Entwicklungspotenzial bei den Zulieferern. So würden wir uns insbesondere Plug-and-Play-Lösungen wünschen.“

Klaus Findling, Geschäftsführer, Findling Wälzlager GmbH
Bild: Findling

„In unseren Zielmärkten spielt die Prozesssicherheit eine zentrale Rolle. Sie wird auch durch vorbeugende Instandhaltung sichergestellt, etwa durch die Integration von Sensortechnik in die Wälzlager. Das passt auch zum aktuellen Megatrend Industrie 4.0.“

Ralf Petersen, Engineering Manager Industrial, NSK Deutschland GmbH
Bild: NSK

„Kunststoffgleitlager kommen bei hohen Drehzahlen und langer Einschaltdauer an ihre Grenzen, daher gilt als Entwicklungsschwerpunkt die Reduzierung der Reibung bei geringstmöglichem Verschleiß.“

Dirk Nienhüser, Leiter Geschäftsfeld Gleitlager, Schaeffler AG
Bild: Schaeffler
Dirk Nienhüser, Leiter Geschäftsfeld Gleitlager, Schaeffler AG
Bild: Schaeffler
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