Inhaltsverzeichnis
1. Aspekte zur Erschließung des Einstiegssegments
2. Einschätzung der Möglichkeiten
3. Zu dieser Serie
Dass Komplexität nicht immer gleichzusetzen ist mit Qualität, weiß jeder, der schon einmal an einer Betriebsanleitung verzweifelt ist. Viele Produkte gehen in ihren Funktionalitäten über das hinaus, was die Kunden möchten – oder besser gesagt: bestimmte Kunden. Für manche ist die technisch ausgefeilte Variante durchaus die richtige, beispielsweise wenn es um Kameras geht. Je nach Anwendung benötigen Fotografen durchaus alle Funktionen, die hochwertige Spiegelreflexkameras bieten. Andere freuen sich dagegen über einfache Produkte, die dennoch eine hohe Wertigkeit bieten und einen guten Preis.
Gleiches gilt auch im Maschinen- und Anlagenbau. Nicht jedes Unternehmen benötigt die große, komplexe Maschine am oberen Ende des Angebotsspektrums. Gerade der Mittelstand bevorzugt oft schlanke, erschwingliche und dennoch robuste Alternativen. Hohe Marktchancen bieten aber vor allem auch die Schwellenländer mit ihrer wachsenden Mittelschicht. Sie zu erschließen bedeutet, Lösungen neu zu denken und zwar so, dass sie den Anforderungen der dortigen Kunden optimal gerecht werden.
Überhaupt ist dies das Erfolgsgeheimnis von Einstiegslösungen, in der Wissenschaft „frugale Innovationen“ genannt. Um den Preis gering zu halten und Komplexität zu vermeiden, nehmen Unternehmen eine spezifische Zielgruppe genau in den Blick und schneiden ihre Lösung optimal auf eben diese Kunden zu. Alles, was für sie nicht relevant ist, wird radikal gestrichen. Dafür werden gegebenenfalls ein paar Highlights ergänzt, die im Einstiegssegment begeistern, wie spezielle Services oder eine hohe Robustheit des Geräts.
Aspekte zur Erschließung des Einstiegssegments
Wichtig bei der Erschließung des Einstiegssegments ist es, das Thema Kannibalisierung im Auge zu behalten. Bisweilen starten Unternehmen eine neue Produktlinie für Kunden mit beschränktem Budget oder entwerfen eine schlanke Individuallösung, ohne auf eine klare Differenzierung zum hochwertigen Segment zu achten. Als Konsequenz droht die Gefahr, dass Kunden aus diesem Segment zukünftig auch zur frugalen Lösung greifen. Und auch für die eigentliche Zielgruppe ist das Angebot nicht ideal, da es die Kunden oft an vielen Stellen überfordert, anstatt an einigen wenigen durch besondere Highlights zu glänzen.
Das Einstiegssegment zu ignorieren ist angesichts der zunehmenden Konkurrenz aus dem Ausland ohnehin keine wirkliche Alternative für deutsche Qualitätsanbieter (Abbildung 1). Ihnen droht sonst der zunehmende Rückzug in high-end-Nischen. Um zu prüfen, ob und in welcher Form der Einstieg in frugale Märkte für sie relevant ist, können Unternehmen unter anderem folgende Aspekte für sich prüfen:
1. Strategische Einschätzung frugaler Geschäftsmöglichkeiten
- Lohnt sich der Aufbau eines frugalen Einstiegssegments für uns?
- In welchen Märkten können wir mit welchen Angeboten aktiv werden?
- Wie können wir unser bestehendes Portfolio schützen?
2. Entwicklung frugaler Innovationen
- Was sind zentrale Kundenanforderungen an die Lösung?
- Welche Kernfunktionalitäten und Leistungsniveaus benötigt sie und wie sparen wir Kosten?
- Welche Auswirkungen hat die Lösung auf unser Geschäftsmodell?
3. Aufbau frugaler Kompetenzen
- Welche neuen Kompetenzen benötigt unser F&E-Team?
- Wie können wir das richtige Mindset und die richtige Motivation für frugale Innovationen schaffen?
Einschätzung der Möglichkeiten
Eine gute Basis für die Einschätzung frugaler Geschäftsmöglichkeiten können Zukunftsszenarien bieten (Abbildung 2). Sie helfen, eine klare Vorstellung von der Zukunft zu gewinnen, trotz unterschiedlicher und zum Teil widersprüchlicher Trends. Bei der Entwicklung frugaler Innovationen können agile Ansätze wie Design Thinking hilfreich sein. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter zu mehr Agilität und auch Entrepreneurship ermutigen, können so auch mehr Mut zur Einfachheit und Begeisterung für bewusstes Beschränken schaffen. eve
Kontakt:
Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO
Nobelstraße 12
70569 Stuttgart
Telefon: +49 711 970–01
info
Zu dieser Serie
Zusammen mit der Technischen Akademie Esslingen stellt die KEM Konstruktion in dieser Grundlagenserie Hintergründe und praktische Einsatzszenarien in aktuellen Technikfeldern zusammen. Tipps zu passenden Seminarangeboten erleichtern die Planung einer praxisorientierten Weiterbildung.
Erschienen sind bereits:
Teil 1: Digitale Zwillinge und aus virtuellen Baugruppen hier.pro/6QiPa
Teil 2: Messverfahren für die Prozessstabilität in der additiven Fertigung hier.pro/7smry
Teil 3: Der Schmierstoff als Konstruktionselement am Beispiel der Schmierfilmdickenmessung: hier.pro/0C4WC
Teil 4: Monitoring von Schleppketten hier.pro/44LVR
Teil 5: Beschichten von Bauteiloberflächen mittels thermischer Spritzverfahren: hier.pro/JtCag