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Schraubfallanalyse: Toleranzangaben mit Bedacht wählen

Drum prüfe, wer sich ewig bindet
Schraubfallanalyse: Toleranzangaben mit Bedacht wählen

Maschinen- und Prozessfähigkeit, ausgedrückt durch Cm-, Cmk-, Cp- und Cpk-Werte, erlauben die Leistungsanalyse bei Montagewerkzeugen. Mit ihnen lässt sich bestimmen, ob ein Werkzeug für einen Schraubfall geeignet ist. Da der Konstrukteur über die Toleranzangaben die Randbedingungen setzt, lohnt es sich, auch über diese Eignungsindizes Bescheid zu wissen. Dann kann sich auch die Arbeitsvorbereitung nicht beschweren, dass eine Verschraubung gar nicht realisierbar ist.

Anhand statistischer Kennzahlen lassen sich Schraubwerkzeuge miteinander vergleichen und beurteilen. Angaben zur Maschinen- und Prozessfähigkeit helfen, Produktionsprozesse zu optimieren. Die Statistik erlaubt es, aus einer begrenzten Anzahl Verschraubungen auf „alle“ Verschraubungen zu schließen. Dabei spielt der Begriff der Streuung eine wichtige Rolle. So kann schon eine kleine Abweichung vom Soll-Wert, etwa eine Maßabweichung, starken Einfluss auf das Endprodukt und seine Funktionsweise haben. Zwei Arten lassen sich unterscheiden:

  • Zufällige Streuungen sind allgegenwärtig und zum Teil vorhersehbar. Ihre Ursachen sind vielfältig, beispielsweise kleine Abweichungen der Gewindedurchmesser, unterschiedliche Reibwerte, der Einfluss des Bedieners oder – bei Druckluft-Werkzeugen – Schwankungen des Luftdrucks.
  • Systematische Streuungen treten sporadisch und vereinzelt auf. Sie sind nicht vorhersehbar. Es ist jedoch meist einfach, ihre Ursachen zu ermitteln. Systematische Streuungen ergeben sich etwa aus falschen Kalibrierungen oder dem Werkzeugverschleiß. Auch Bedienungsfehler des Menschen zählen dazu.
Betrachtet man nun eine Verschraubung, bei der das Drehmoment gemessen wird, variieren die Werte von Verschraubung zu Verschraubung. Die Statistik nennt die sich ergebende Wahrscheinlichkeitsverteilung „Normalverteilung“ oder „Gaußsche Glockenkurve“. Der Mittelwert ist der am häufigsten vorkommende Wert. Arbeitet ein Schraubwerkzeug, das etwa auf ein Drehmoment von 30 Nm eingestellt ist, sehr viele Verschraubungen ab, ist es unwahrscheinlich, dass man bei jeder einzelnen exakt diesen Wert erreicht. Zufallsfaktoren wie Materialverschleiß und unterschiedliche Handhabung des Werkzeugs können dazu führen, dass die aufgebrachten Drehmomente den Sollwert über- oder unterschreiten. Mathematisch lässt sich das mit der Standardabweichung beschreiben.
99,7 % aller Werte liegen innerhalb von 6s
Die Standardabweichung s gibt an, wie viel jeder Messwert durchschnittlich vom Mittelwert abweicht. Praktischer Nutzen ist, dass der Mittelwert den Durchschnittswert der Verteilung und die Standardabweichung die Streuung angibt. Damit lässt sich abschätzen, wie viele Werte innerhalb eines bestimmten Bereichs um den Mittelwert liegen. Über die Standardabweichung kann auch errechnet werden, um wie viel ein bestimmter Prozentsatz der Messwerte in der Stichprobe vom Mittelwert abweicht.
Das können Anwender zu ihrem Vorteil nutzen. Denn wenn man weiß, wie viel Prozent der Werte innerhalb einer bestimmten s-Grenze liegen werden, lässt sich vorhersagen, wie sich der Prozess künftig verhalten wird. Bei einer Normalverteilung sind zudem alle systematischen Streuungen eliminiert, und nur die zufällige Streuung spielt eine Rolle. Außerdem weiß man, dass 99,7 % aller Werte innerhalb von 6 s liegen (also Mittelwert ±3 s). Damit lässt sich eine wichtige Annahme treffen: Auch wenn bei einer Normalverteilung 0,3 % aller Schraubwerte außerhalb der 6 s-Grenzen liegen, nimmt man einfach an, dass alle Schraubwerte außerhalb dieser Grenzen auf systematische Streuungen im Prozess zurückzuführen sind. Anders gesagt: Der Prozess selbst wird nur von zufälligen Streuungen beeinflusst und ist damit unter Kontrolle, solange die Schraubwerte innerhalb der 6 s-Grenzen liegen. Liegen die Verschraubungen außerhalb, bedeutet das, dass ein neuer – unbekannter – Faktor den Prozess beeinflusst und dieser nicht mehr unter Kontrolle ist.
Konstrukteur definiert die Genauigkeit
In der Schraubmontage werden oft bestimmte Genauigkeitsanforderungen an die Werkzeuge gestellt. Diese werden als Soll-Drehmoment sowie einer maximal akzeptablen Abweichung vom Soll-Wert angegeben, zum Beispiel ±10 %. Die Genauigkeit eines Schraubwerkzeugs wird in der Regel berechnet aus 50 % der natürlichen Streuung (die sich aus dem zuvor Gesagten zu 3s ergibt) geteilt durch den Soll-Wert. So lassen sich verschiedene Werkzeuge bei einem bestimmten Soll-Wert miteinander vergleichen, ohne Bezug auf einem bestimmten Schraubfall zu nehmen.
Die Genauigkeit eines Werkzeugs sagt zwar etwas über seine Leistung aus, aber das ist nicht genug. Für den Anwender ist wichtig, was ein Werkzeug an der Produktionslinie leistet – hier kommen die sogenannten Eignungsindizes für die Prozess- und Maschinenfähigkeit ins Spiel. Man muss also die Genauigkeit des Werkzeugs in Beziehung setzen zu den konkreten Anforderungen des jeweiligen Einsatzes. Jeder Schraubfall hat einen Soll-Wert, aber auch eine gewisse Toleranz, die für den Anwender akzeptabel ist. Durch Vergleich des Mittelwertes und der Standardabweichung mit dem Soll-Wert und den Toleranzgrenzen des Schraubfalls lässt sich angeben, was ein Werkzeug in diesem Fall leistet.
In die Prozessfähigkeit gehen die Einflüsse von Maschine, Material und Bediener ein. Der Koeffizient Cp gibt die prinzipielle Fähigkeit des betrachteten Prozesses wider. Berechnet wird der Wert als Quotient von Toleranzintervall und 6 s, also [(Maximalwert – Minimalwert) : 6 s]. Diese Formel setzt einfach das Toleranzintervall in Bezug zur natürlichen Prozessstreuung. Bei einem Werkzeug mit einer großen Streuung (s) und einem Schraubfall mit sehr hohen Anforderungen – also engen Toleranzgrenzen – erhält man einen niedrigen Cp-Wert. Umgekehrt bekommt man bei einem Werkzeug mit sehr kleiner Streuung (kleines s), aber sehr weiten Toleranzgrenzen, einen hohen Cp-Wert. Letzteres ist natürlich wünschenswert, denn je kleiner die Streuung im Vergleich zu den Toleranzgrenzen ist, desto kleiner ist das Risiko, dass Verschraubungen außerhalb der Toleranzbereiche vorkommen. In der Regel soll Cp größer 1,33 sein. Das bedeutet, das Sechsfache der Standardabweichung deckt nicht mehr als 75 % des Toleranzintervalls ab.
Kritische Prozessfähigkeit liefert Aussage über Eignung
In der Praxis wird zudem oft der kritische Prozessfähigkeitskoeffizient Cpk verlangt. Hier werden systematische Fehler des Prozesses mit berücksichtigt, denn der Cp-Wert reicht immer noch nicht aus, eine Aussage darüber zu treffen, ob sich ein Werkzeug für eine bestimmte Anwendung eignet oder nicht. So berücksichtigt er nicht, ob der Mittelwert der Verteilung nahe am Soll-Wert liegt oder nicht. Der Cpk-Wert setzt deshalb zusätzlich den Mittelwert der Verteilung in Beziehung zum Soll-Wert des Anwendungsfalls (weitere Details siehe Kasten). Üblicherweise sollte der Cpk-Wert größer als 1,33 sein. Bei einem Cpk unter 1,00 ist Prozessfähigkeit nicht gegeben.
Cp und Cpk sind Prozessfähigkeitsindizes. Alles, was den Prozess beeinflusst, wirkt sich auf sie aus. Wenn man die ganze Streuung weglässt, die den Montageprozess betrifft, außer der Streuung durch das Werkzeug selbst, bekommt man die sogenannten Maschinenfähigkeitsindizes Cm und Cmk. Die Berechnungen verlaufen analog denen für die Prozessfähigkeitsindizes. Cm und Cmk geben also an, ob das Schraubwerkzeug für die Anwendung geeignet ist.
Es sei noch darauf hingewiesen, dass die Stichprobengröße von großer Bedeutung ist, wenn man die Eignung eines Werkzeugs analysiert. Nur so lassen sich zuverlässige Berechnungen des Mittelwerts und der Standardabweichung erhalten. Eine Größe von mindestens 25 ist zu empfehlen. Auch sollten Anwender aufmerken, wenn jemand behauptet: „Ich habe ein Werkzeug, das jederzeit eine Cpk-Anforderung von 2,0 erfüllen kann.“ Denn dann gibt es zwei Möglichkeiten:
  • 1. Er weiß nicht, wovon er redet. Denn es ist sinnlos, über Eignungsindizes zu reden, ohne die Werkzeugleistung zu den Anforderungen – Toleranzgrenzen – in Bezug zu setzen.
  • 2. Er weiß, wovon er redet, und versucht, das Werkzeug besser darzustellen, als es ist.
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