Sie nutzen den Wind und trotzen den Wellen: Wenn Katamarane bei großen Sportevents über das Meer jagen, stockt den Zuschauern vor dem Fernseher der Atem. Künftig sollen die Segler direkt vor den Augen des Publikums über das Wasser fliegen. Segelprofi Roland Gäbler und Evonik bauen ein neues Highspeed-Boot, das in Landnähe gesegelt wird und schon bei leichtem Wind abhebt.
Die Autorin: Carolin Kather, Markenkommunikation, Evonik
Beim Segeln macht Roland Gäbler so schnell niemand etwas vor. Der Profisportler aus Bremen hat mehr als 70 internationale Meisterschaften gewonnen, ist mehrfacher Welt- und Europameister und holte Bronze bei den Olympischen Sommerspielen in Sydney. Einen Traum hat der 52-Jährige aber noch: Er möchte mit Segelsport Stadien füllen.
„Viele Regatten finden weit weg vom Publikum statt, weil die Boote die Weite und den Wind des offenen Meeres brauchen“, sagt Gäbler. „Das tut mir im Herzen weh. Die Menschen sollen am Strand oder an der Kaimauer sitzen und die Katamarane sehen. Wie im Stadion, zum Greifen nah.“ Roland Gäbler meint das wörtlich. Auch wenn seine Muskeln nach einem Wettkampf schmerzen und nach einer heißen Dusche schreien, geht der 52-Jährige zu den Zuschauern, beantwortet Fragen, schreibt Autogramme. Segeln zum Anfassen nennt Gäbler das. Segeln für alle. Dass die Realität oft anders aussieht, weiß er genau.
Roland Gäbler ist Kritiker und Fan zugleich. Er sprudelt über vor Begeisterung für die Kraft des Wassers und die Macht des Windes. Und dafür, dass Mensch und Natur beim Segeln zu Athletik und Artistik verschmelzen. „Die maritime Kultur liegt uns im Herzen“, sagt Gäbler und meint damit sich und seine Ehefrau Nahid, mit der er seit 2009 gemeinsam segelt.
Schon einmal schien sein Traum vom Segeln für jedermann zum Greifen nahe. 2003 rief Gäbler die Champions Race ins Leben, eine Rennserie mit kurzen, spannenden Wettfahrten und großer Nähe zum Publikum. „Damals hatten die Boote nicht genug Power“, erinnert er sich heute, 13 Jahre später. Die Katamarane waren abhängig von den Launen des Windes. War der zu flau, in Landnähe keine Seltenheit, konnten sie nicht starten. Zum Leidwesen der Zuschauer. „Wer bleibt denn ein oder zwei Stunden sitzen in der Hoffnung, dass es doch noch losgeht? Niemand.“
SpeedFoiler immun gegen Launen des Windes
Der SpeedFoiler soll die alten Segel-Schwächen ausgleichen. Gemeinsam mit dem Essener Spezialchemiekonzern Evonik hat Gäbler einen Carbon-Katamaran entwickelt, der von zwei Personen gesegelt wird – in Landnähe. Dieser ist mit 7,62 m Länge und einem Gewicht von 178 kg vergleichsweise klein und leicht. Gleichzeitig verfügt das Boot über eine große Segelfläche. Ihm reicht schon leichter Wind, damit es über das Wasser fliegt.
Foilen heißt das in der Seglersprache. Die Foils sehen aus wie gebogene Schwerter und befinden sich mittig unter den beiden Rümpfen. Sie funktionieren wie Flügel beim Flugzeug. Nimmt das Segelboot durch den Wind Fahrt auf, erzeugen die Foils Auftrieb und heben den Rumpf aus dem Wasser. Der Widerstand wird geringer, das Boot auf den Foils immer schneller. „Wir können eine Geschwindigkeit von 70 Kilometern pro Stunde erreichen – in Sichtweite der Zuschauer“, sagt Gäbler.
Das geringe Gewicht des SpeedFoilers ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Der Katamaran muss zugleich sehr stabil sein, um den Naturkräften zu trotzen. Wind und Wasser, Salz und Sonnenlicht dürfen ihm nichts anhaben. Das Spezialmaterial für den SpeedFoiler hat Evonik entwickelt und produziert: Für die Stabilität sorgen in ein Harz getränkte Carbonfasern. Sie sind so dünn wie ein menschliches Haar und werden in vielen Schichten übereinandergelegt. Diese Carbonmatten haben die Eigenschaften eines geflochtenen Zopfes, sind fest und flexibel zugleich. Damit keine Faser entwischt, hält ein Harz sie in der richtigen Form. Das funktioniert nach dem Prinzip eines Zweikomponentenklebers. Erst mit dem Evonik-Produkt Vestanat PP und dem Härter Vestamin entfaltet das Harz seine volle Wirkung und wird fest. Der Zusatzstoff Nanopox macht das Material zudem widerstandsfähig, damit es nicht bricht, wenn zwei Boote aneinander geraten.
Das Ruder und die Foils sind komplett aus diesem Carbonfaser-Verbund-Werkstoff, auch Composites genannt, hergestellt. Um beim Rumpf einige Kilo zu sparen, ist er wie ein Sandwich gebaut: außen Composites, innen der robuste und zugleich leichte Strukturschaum Rohacell. „Mit den Hightech-Materialien holen wir die letzten Prozent Leistung aus dem Boot“, sagt Dr. Gudio Streukens, Chemiker bei Evonik. Der Spezialchemiekonzern hat sich dabei seines Know-hows und seiner Erfahrung aus der Automobil- und Luftfahrtindustrie bedient. Die Produkte und die Technologie für den stabilen Leichtbau kommen bereits in Formel-1-Autos und im Airbus zum Einsatz. „Jetzt lassen wir damit auch Boote fliegen“, so Streukens.
„Das Boot kann von einer bis sieben Windstärken gesegelt werden – vom Wind, der lediglich kleine Kräuselwellen aufwirft bis zu einem, der Bäume in Bewegung bringt“, ergänzt Roland Gäbler. „Das entspricht 97 Prozent aller Windbedingungen. Also fast immer.“
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