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Ringspann erhöht Sicherheit

Bremsensteuerungssystem
Ringspann erhöht Sicherheit

Bei der Realisierung einer neuen Berg- und Talbahn für die Adlerschanze in Hinterzarten vertraute das Wiegand der Bremsen-Technologie von Ringspann. Dabei machte das Unternehmen das Bremsensteuerungs- und -überwachungssystem BCS 600 zum Dreh- und Angelpunkt des Sicherheitskonzepts seiner schienengeführten Wagenzug-Anlage. Die Herausforderung: In Seilbahnen dürfen nur personensichere Bremssysteme zum Einsatz kommen, die der Seilbahnrichtlinie der EU entsprechen.

 

Michael Stöcker, freier Fachjournalist in Darmstadt

Mit Sicherheitsfragen im Seilbahnbau kennt sich Stefan Eberhardt bestens aus. Denn als Entwicklungsingenieur der Josef Wiegand GmbH mit Sitz im osthessischen Rasdorf hat er bereits viele Seilbahn-, Skilift- und Cable-Car-Projekte federführend begleitet. Auch als Hinterzarten eine neue Berg- und Talbahn für den Personentransport an ihrer traditionsreichen Adlerschanze suchte, landete die Anfrage auf seinem Tisch. Neben Anforderungen an die Ökologie standen bei diesem Projekt die möglichst einfache Bedienung, ein hoher Automationsgrad sowie ein hoher Sicherheitsstandard im Pflichtenheft. Als ideale Wachablösung für die veraltete Sesselbahn der Adlerschanze erwies sich schließlich das Produkt Wie-Li aus dem Programm des Seilbahnbauers. „Unser Pendelwieli ist eine moderne Zugseil-Lösung, bei der ein Wagenzug über Schienen bergauf und bergab fährt. In Hinterzarten besteht dieser Zug aus vier gekoppelten Wagen, der bis zu 24 Passagiere mit einem Tempo von bis zu 2,4 m/s eine Höhendifferenz von 80 Metern erklimmen lässt“, erklärt Eberhardt.
Große Winden, mächtige Scheiben
Zu den wichtigen Systemkomponenten der neuen und inzwischen in Betrieb genommenen Pendelzug-Anlage gehören neben den offenen Wagen mit jeweils sechs Sitzplätzen und der 200 Meter langen Schienenstrecke eine Berg- und eine Talstation (Bahnhöfe) sowie ein technischer Kommandostand. Das Herzstück des fahrdynamischen Geschehens bildet die bergseitige Windenantriebsstation mit ihren zwei großen, von einem 55 kW-Motor angetriebenen Seilwinden und ihrem Bremssystem. Von hier aus wird der 14 Meter lange und bei Vollbesetzung fast fünf Tonnen schwere Wagenzug gefahren und gesteuert. Das bedeutet, er wird von den beiden Trommelwinden über zwei redundante Stahlseile bergauf gezogen und von einem personensicheren Bremssystem bergab verzögert und gestoppt. Da der Zug bei seiner Fahrt maximale Steigungen von bis zu 62 Prozent bewältigt, braucht es nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, welch große Bedeutung dem Bremssystem zufällt. Stefan Eberhardt erläutert dazu: „Wir müssen als Hersteller eine Bremsanlage einsetzen, die die Sicherheitsbestimmungen der EU-Richtlinie 2000/9/EG erfüllt. Dabei erfolgt die Auswahl der Komponenten am besten so, dass der Zertifizierungsprozess möglichst einfach zu realisieren ist. Die EU-Konformität der Anlage wird durch die Zertifizierung einer benannten Stelle nachgewiesen.“
Auf dem Weg zur Zertifizierung
Im Vorfeld des Adlerschanzen-Projekts waren Eberhardt und sein Entwickler-Team bereits auf ein Bremssystem aufmerksam geworden: Das Bremsensteuerungs- und -überwachungssystem BCS 600 von Ringspann. Das Bad Homburger Unternehmen bietet mit dem System eine intelligente Komplettlösung für die automatisierte und präzise Steuerung hydraulisch betätigter oder hydraulisch gelüfteter Bremsen an. Sie ist prädestiniert für die Realisierung anspruchsvoller Bremsvorgänge und übernimmt gleichzeitig unverzichtbare Sicherheits- und Überwachungsfunktionen. „Dieses System aus Steuereinheit mit integriertem Hydraulikaggregat und den Industriebremsen hatte es uns sofort angetan, denn sie erschien uns als Ideallösung für das Notstopp-Systems unseres schienengeführten Wie-Li. Es gab allerdings einen Wehrmutstropfen: Es hatte noch keine spezielle EU-Seilbahn-Zulassung“, berichtet Stefan Eberhard.
Was für andere Bremsenhersteller ein Knockout gewesen wäre, entpuppte sich für die Bad Homburger nur als kleine Hürde. Denn das BCS 600 wurde insbesondere auf der Basis des im Unternehmen über Jahrzehnte gewachsenen Know-hows in der Fahrkorbtechnik, in der Bergbau-Fördertechnik und in der Rolltreppentechnik entwickelt. „Das heißt, es ist hier sowohl Ingenieurwissen aus der Personenbeförderung als auch aus der Zugseil- und Seilwindentechnik mit eingeflossen. Es war daher ein Leichtes für uns, bei der Zertifizierung der Bremsanlage die notwendige Unterstützung zu bieten“, erläutert Franz Eisele, der bei Ringspann die Sparte Bremsen und Kupplungen leitet. Beschleunigt durch den administrativen Support und den Know-how-Transfer mit dem Entwicklungsteam von Wiegand konnten Eisele und seine Bremstechnik-Spezialisten rasch alle Anforderungen umsetzen, die für die Zertifizierung nach der EU-Seilbahn-Richtlinie nötig waren. Damit war der Weg frei für den Einsatz des Bremssystems im Sicherheitskonzept der Anlage an der Adlerschanze.
Vier Bremsen mit verschiedenen Aufgaben
Insgesamt sind es vier Bremsen, die für das fahrdynamische Geschehen des Pendelzugs verantwortlich sind. Während für den allgemeinen Fahrbetrieb (Bergauf, Bergab, Stillstand) eine elektrische sowie eine elektromechanische Bremse zuständig sind, bilden zwei federbetätigte und hydraulisch gelüftete Scheibenbremsen des Typs HW 075 FHM vdas Sicherheits- bzw. Notstoppsystem der Anlage. Sie entfalten ihre Klemmkräfte von bis zu 40 kN jeweils an zwei Bremsscheiben, die sich an den äußeren Stirnseiten der Seiltrommeln befinden. Diese Bremsen sind stromlos geschlossen und so ausgelegt, dass jede einzelne im Ernstfall in der Lage ist, die nötige Gesamtbremsleistung im Alleingang aufzubringen (Redundanz). Reißt ein Seil oder versagt der Antrieb, fallen die Sicherheitsbremsen ein und stoppen den Wagenzug. Unabhängig vom Gewicht der Wagen und vom Gefälle halten sie dabei eine konstante Verzögerung von etwa 1,0 m/s² ein. Wird die gesamte Anlage ausgeschaltet, fungieren die Bremsen als Haltebremsen.
Die intelligente Steuerung und Überwachung der Sicherheitsbremsen erfolgen im BCS 600. Dieses System ermöglicht es, die Bremskraft hydraulisch betätigter und hydraulisch gelüfteter Bremsen exakt zu steuern. Das geschieht über die präzise Regelung des Hydraulikdrucks, wobei die tatsächlichen Werte von Geschwindigkeit oder Hydraulikdruck in einer Echtzeit-Messung mit den Sollwerten abgeglichen werden. „Sind die gemessenen Abweichungen zu groß wird der Hydraulikdruck entsprechend angepasst, womit die voreingestellte Bremszeit oder Verzögerung erreicht wird. Gleichzeitig schonen besonders flach verlaufender Bremsrampen am Ende der Bremsung die dynamische Belastung der Anlage“, erklärt Achim Mayer, Entwicklungsingenieur bei Ringspann.
Schnelles und kraftvolles Zupacken
Grundsätzlich ermöglicht das Bremsensteuerungssystem die Steuerung und Überwachung der Bremsvorgänge nach drei verschiedenen Vorgaben bzw. mit drei unterschiedlichen Bremsrampenfunktionen: Einer definierten Bremszeit, einer vorgegebenen Verzögerung oder einer bestimmte Anzahl von Umdrehungen (Bremsweg). Dabei betont Mayer, dass „die schnelle Überbrückung des Bremsspalts und ein regelmäßiges Sauberbremsen der Bremsscheibe für kürzeste Reaktionszeiten sorgen und hohe Reibwerte schon zu Beginn des Bremsvorgangs sicherstellen“. Die beiden Sicherheitsbremsen an den Seilwinden der Anlage würden also im Ernstfall sofort zupacken und das System zum Stillstand bringen.
Zum Innenleben des Systems gehören ein schneller IPC mit echtzeitfähigem Betriebssystem und ein Controller mit einer variablen Auswahl von I/Os, die für eine schnelle Messwert-Verarbeitung sowie eine verzögerungsfreie Steuerung und Regelung sorgen. Über verschiedene Feldbus-Schnittstellen (Ethercat, Profibus, Canopen) wird das Bremssystem in die übergeordnete Anlage eingebunden und erlaubt eine bi-direktionale Kommunikation. „Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, das Bremssystem in das Netzwerk des Betreibers zu integrieren. Über die Ethernetverbindung kann er dann die Bremsvorgänge in Echtzeit verfolgen oder die aktuellen Betriebsdaten prüfen, ohne direkt vor Ort anwesend sein zu müssen“, erläutert Mayer. Zu den weiteren Qualitätsmerkmalen der Lösung gehören eine intelligente Konstruktion der Hydraulikeinheit, der Einsatz belastbarer, hochwertiger Bauteile und eine Sitzventiltechnik mit großem Querschnitt – alles Aspekte, die eine hohe Zuverlässigkeit und Sicherheit des Systems gewährleisten. Optional bietet der Hersteller das System auch mit Touchpanel an.
Das nächste Projekt
Für Stefan Eberhardt und sein Entwicklerteam bei Wiegand war der Einsatz des BCS 600 in der Anlage an der Adlerschanze eine Premiere, die sich gelohnt hat. „Wir sind inzwischen absolut überzeugt von dieser Systemlösung, zumal wir dem Betreiber damit auch die Möglichkeit geben, im Rahmen seiner Sicherheits- und Instandhaltungskonzepte viele weitere Parameter und Komponenten des Bremssystems und der Anlage zu überwachen und zu dokumentieren. So etwa die Drehrichtung der Anlage, den Zustand der Bremsbeläge, die Funktion der Federpakete der Bremsen sowie den Hydraulikdruck, die Öltemperatur und – über die Drehzahldifferenzmessung – den Antriebsstrang“, erläutert der Seilbahn-Experte. Und abschließend fügt er noch hinzu, dass man das System bereits für das nächste Projekt fest eingeplant habe. Es wird dann in einer Standseilbahn in Österreich zum Einsatz kommen. jg
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