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Frank Blase

Geschäftsführer Igus GmbH, Köln
Frank Blase

Peu à peu verlief vor etwa zwanzig Jahren die Einführung von Kunststoffgleitlagern in der Industrie. Das Ergebnis sind revolutionäre Anwendungen. Dazu braucht es visionäre Menschen, die optimistisch und risikofreudig genug sind, um völliges Neuland zu erschließen. Die Familie Blase hat sich dieser Aufgabe gestellt und bietet heute Produkte, die weltweit in nahezu allen Branchen Einsatz finden. KEM sprach mit Geschäftsführer Frank Blase, der sich mit der Potenzialerschließung auch heute noch am Anfang sieht.

Das Interview führte KEM-Redakteurin Angela Scheufler

„Wir hatten das große Glück; einen unentdeckten Kontinent zu finden, den wir kartografieren können.“
Wie war das damals als Pionier der Kunststoff-Gleitlager?
Blase: Den Ursprung lieferte uns 1983 die Firma Schlafhorst mit einem Einsatz in ihren Textilmaschinen. Hier vermuteten wir erstmals, dass in den Kunststoffgleitlagern ein riesiges Potenzial stecken könnte. Anschließend tat sich jahrelang wenig, bis wir uns 1989 dazu entschlossen, selber zu forschen. Die Anfänge hierzu leistete ein Doktor der Chemie, dessen Arbeitsplatz sich zunächst in einem Bürocontainer auf dem Parkplatz befand. Wir erkannten schnell, dass es auf diesem Gebiet keine Forschung gab, die man hätte adaptieren können. Dieser anfangs bedauerte Nachteil entpuppte sich aber schnell als Riesenvorteil. Denn wann hat man schon mal einen unentdeckten ‚Kontinent’ vor sich, den man ‚kartografieren’ kann, insbesondere wenn er so groß ist, wie das Thema ‚mit Kunststoff schmierfrei zu lagern’.
Gibt es bei Igus eine Firmenphilosophie?
Blase: Philosophie ist wohl ein zu großes Wort. Aber in unserem Firmenslogan ‚Plastics for longer life’ haben wir unsere Strategie zusammengefasst. ‚For longer life‘ heißt, die Produkte sollen zum einen länger halten und zum anderen technische Vorteile bieten. ‚Plastics’ bedeutet, dass sie gleichzeitig günstiger sind. All unsere Produkte haben den Anspruch besser als die bestehenden aus Metall beziehungsweise anderen Kunststoffen zu sein. Unsere Verkäufer sollen dem Kunden auch ehrlich sagen, wenn nicht wenigstens ein Teil dessen erfüllt ist.
Mit Ihren Kunststoffgleitlagern haben Sie einst den Markt revolutioniert. Heute sind diese längst gesellschaftsfähig. Wie schätzen Sie das noch nicht erschlossene Potenzial ein?
Blase: Schön dass Sie das so sagen, aber wir befinden uns immer noch ganz am Anfang hinsichtlich des Potenzials, das da drin steckt. Vor zwanzig Jahren haben wir gesagt, dass wir das schmierfreie Lager zu einem akzeptierten Maschinenelement machen wollen. Das ist es heute sehr viel mehr als damals. Während schon damals das Kugellager das weltweit am besten getestete Element war, konnten wir immer nur auf schöne Anwendungsbeispiele verweisen. Durch die Entscheidung, 1989 zu forschen und 2001 die Berechenbarkeit als Ergebnis zu präsentieren – hier sind wir im Moment noch die einzigen – konnten wir unsere Lager akzeptabel machen. Das Potenzial selbst ist riesig! Wenn wir den besagten Kontinent mit Afrika vergleichend betrachten, haben wir heute erst die nordafrikanischen Küstenstädte kartografiert. Wir schätzen den gesamten Wälz- und Gleitlagermarkt auf mindestens 20 Milliarden Euro und wahrscheinlich deutlich mehr. Fast alle diese Produkte werden geschmiert. Wir wissen, dass wir sehr stark wachsen können, wieviel hängt davon ab, wie gut wir unsere Produkte entwickeln und wie schnell und überzeugend wir diese im Markt einführen. Von Markt ‚revolutionieren’ kann allerdings keine Rede sein. Das ging sehr peu à peu, auch wenn die Anwendungen oft revolutionär waren.
Haben Sie Ihren Produktbereich Energieketten-Systeme als zweites Standbein aufgebaut?
Blase: Nein, wir sind mit den Ketten, Kabeln, Energiezuführungen, später Leitungen und Konfektionierungen parallel gestartet und hatten insofern Glück, dass wir in den Boom der Automatisierung reingestolpert sind. Dabei gibt es einen roten Faden, der sich durch all unsere Produkte zieht. Den sehen wir in der Beschäftigung mit Reibung und Verschleiß. Gerade zuletzt bei den torsionsfähigen Roboterkabeln, die sich bewegen müssen, sind Reibung und Verschleiß entscheidende Faktoren. Hervorgerufen durch die Bewegungen zueinander, der Ader unter der Schirmung, der Schirmung unter dem Mantel, der ganzen Leitung in der Kette oder im Schlauch, sind sie so gering wie möglich zu halten. Es gibt hier einen Forscherdrang auch unter den Mitarbeitern, der uns voranbringt und sich immer weiter aufbaut. Im Sinne von ‚Plastics for longer life’ beteiligen sie sich mit Ideenvorschlägen und Engagement an den neuen Innovationen. Wir sind aber auch für die Ideengebung unserer Kunden sehr dankbar. In den siebziger Jahren fingen wir als Nobody an, heute schenken uns bei Energieketten und -systemen mehr Kunden weltweit ihr Vertrauen als jedem anderen Anbieter – das spornt uns an.
Tangiert Sie die aktuelle CO2-Debatte?
Blase: Angeregt durch die CO2-Debatte und unser permanent unterschwellig schlechtes Gewissen als Kunststoffproduzent haben wir mal die Energiebilanz untersucht, die – siehe da – ganz fantastisch ist. Nimmt man die benötigte Energie für die Produktion je eines Volumenliter Aluminiums, Stahl und Kunststoff und rechnet das in Öl um, kommt man auf 15 Liter Öl für ein Liter Aluminium, 11 Liter für Stahl und 1,8 Liter für Kunststoff. Und es gibt noch eine interessante Zahl: Die Kunststofffertigung benötigt nur vier Prozent der jährlichen Rohölproduktion.
Zur Hannover Messe haben Sie mit der Präsentation Ihres Kunststoff-Kugellagers den ersten Schritt in Richtung einer neuen, berechenbaren Generation von Kunststoffwälzlagern präsentiert. Welche Möglichkeiten eröffnen sich damit dem Konstrukteur?
Blase: Im Moment haben wir hier noch eine Nischenlösung, bei der die Möglichkeiten beschränkt und schnell umrissen sind: Die Konstrukteure können damit den schmiermittelfreien Einsatz in Temperaturen bis 150 Grad Celsius sowie in nassen oder chemielastigen Umgebungen realisieren. Hinzu kommen die bekannten Vorteile wie geringere Gewichte und Reibung. Diese Produkte bieten wir als Katalog-Normelemente, weil es in dem Bereich dieses offensichtlich nicht gibt. Der Preis dafür ist sehr günstig. Das Potenzial des Kunststoff-Kugellagers sehen wir ähnlich ‚naiv’ optimistisch wie vor zwanzig Jahren bei den Gleitlagern. Erste Anfragen gibt es übrigens aus der Lebensmittelindustrie, für Maschinen im Hochtemperaturbereich oder für Chemiepumpen.
Was verbirgt sich hinter Ihrer neu aufgebauten elektronischen Abteilung?
Blase: Im Bereich der Energieketten sind wir der Vorreiter für das, was man heute System nennt, sprich die komplett angelieferte Kette mit allem drum und dran. Erste Erfahrungen haben wir mit dem Condition Monitoring für den Anlagenbau gesammelt. Die Entwicklung der drahtlosen Datenübertragung haben wir uns ein paar Jahre angeschaut und erste Forschungen betrieben. Aus zwei Gründen haben wir uns schließlich für diese Technologie entschieden; einmal um selber herauszufinden, was mit solchen Produkten machbar ist; zum anderen um mit diesem Know-how elektronische Steuerungen mit unseren Kunststoffprodukten zu verknüpfen.
Gibt es Branchen, die Sie mit Ihren Produkten noch nicht erreichen konnten, die aber interessant für Sie wären?
Blase: Wir sind immer sehr angetan, in welchen Branchen unsere Produkte schon überall sind. Was uns noch faszinieren würde, sind die medizintechnischen Implantate wie künstliche Knie oder Hüfte. Da geht man gerade weg vom Kunststoff hin zu besonderen Metallwerkstoffen. Für uns wäre es interessant auszuprobieren, was man mit besseren Kunststoffen als Polyethylenlösungen alles machen könnte.
Jedes Jahr präsentieren Sie 1500 bis 2500 neue Produkte. Das ist kaum vorstellbar, wie definieren Sie ‚neu’?
Blase: Dieses Jahr haben wir 58 neue Produkte oder Programmerweiterungen in Hannover präsentiert. Eines davon ist zum Beispiel die Energieführungskette E 4.1., hinter der sich etwa eintausend Artikel verbergen. Dabei geht es nicht darum, dass sich Kleinigkeiten wie die Länge ändern, sondern es geht auch um neue Werkstoffe und Geometrien. Völlig neue Ideen gibt es etwa dreißig im Jahr.
Firmen-Steckbrief:
  • Gegründet: 1964
  • Standort: Köln-Porz
  • Produkte: Kunststoffgleitlager, E-Ketten-Systeme
  • Mitarbeiter: 1350
  • Umsatz 2006: 246 Mio. €
  • Standorte weltweit: 26
Gleitlager KEM 569
E-Ketten KEM 570
Systems Engineering im Fokus

Ingenieure bei der Teambesprechung

Mechanik, Elektrik und Software im Griff

Video-Tipp

Unterwegs zum Thema Metaverse auf der Hannover Messe...

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