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MBSE ist Zukunft der Entwicklung

Ergebnisse des BMBF-Verbundprojekts mecPro2
MBSE ist Zukunft der Entwicklung

Welchen Beitrag Model-Based Systems Engineering (MBSE) bei der Entwicklung cybertronischer Systeme leisten kann, untersuchte das vom BMBF geförderte Verbundprojekt mecPro2. Im Fokus stand dabei auch die Frage, wie sich MBSE am besten in PLM-Systeme und -Prozesse integrieren lässt. Im Anschluss an den Tag des Systems Engineerings in Herzogenaurach präsentierten die Projektteilnehmer neue Werkzeuge, Methoden und Prozesse, mit denen sich das Internet der Dinge in der Produktentwicklung berücksichtigen lässt.

Michael Wendenburg, Fachjournalist, Sevilla

Die Ergebnisse aus drei Jahren Forschungsarbeit zu MBSE können sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen: Das Konsortium aus 12 Forschungsinstituten, Industrieunternehmen, Software- und Beratungshäusern hat nämlich nicht nur mehrere GByte an Dokumenten und Modellen und fast 1000 Wiki-Seiten produziert, wie Konsortialführer Dr. Walter Koch, Leiter Forschungs- und Entwicklungsprozesse bei der Schaeffler-Gruppe, eingangs erwähnte. Das Besondere sind die beiden Demonstratoren, die am Beispiel einer cybertronischen Schranke für das autonome Parken und einer Montagelinie für Zylinderköpfe veranschaulichen, wie sich die modellbasierte Entwicklung in den PLM-Kontext integrieren lässt. „Wir haben es gewagt, modellbasierte Entwicklung mit Änderungswesen und Konfigurationsmanagement zu verbinden“, sagte Prof. Martin Eigner von der TU Kaiserslautern, Initiator des Projekts, nicht ohne Stolz.
Mit einem Projektvolumen von 4,36 Millionen Euro und einer BMBF-Fördersumme von 2,5 Millionen Euro war mecPro2 ein großes Verbundprojekt im Rahmen einer noch größeren Fördermaßnahme, die sich vor allem mit Industrie 4.0 und der intelligenten Vernetzung in der Produktion beschäftigte. Betreut wurde sie vom Projektträger Karlsruhe (PTKA), dessen Vertretern Koch und Eigner für ihre Unterstützung dankten. Der Projektantrag wurde aber erst im zweiten Anlauf genehmigt, weil mecPro2 im Kontext von Industrie 4.0 eine Sonderstellung einnimmt. Das Projekt beschäftigt sich nicht nur mit der Produktion, sondern auch mit der modellbasierten Entwicklung von cybertronischen Produkten und Produktionssystemen. Inzwischen habe man erkannt, dass es ohne intelligente Produkte auch keine intelligente Produktion geben könne, unterstrich Eigner.
Die Entwicklung cybertronischer Systeme zeichnet sich dadurch aus, dass eine Vielzahl von Disziplinen daran mitwirken, die nicht dieselbe (Fach-)Sprache sprechen und unterschiedliche IT-Systeme einsetzen. Wesentliche Zielsetzung von mecPro2 war es, die Disziplinen näher zusammenzubringen. Als gemeinsamer Nenner dient dazu die Systems Modeling Language SysML und ein abgestimmter Entwicklungsprozess. Erstmals wurde dabei versucht, die Gräben zwischen Produktentwicklung und Produktion durch ein gemeinsames Systemmodell zu überbrücken und Produkt und Produktionssystem als eine logische Einheit zu betrachten und parallel zu entwickeln.
Demonstratoren mit Vorbildfunktion
Wie das in der Praxis aussehen könnte, veranschaulicht der zweite, vom Konsortium entwickelte Demonstrator, den Armin Haße von Siemens PLM Software den etwa 150 Besuchern der Ergebniskonferenz vorstellte. Ein Highlight der Lösung ist die Möglichkeit, die Montage der Zylinder auf Basis der in Teamcenter modellierten SysML-Modelle schon in der frühen Planungsphase in Plant Simulation zu simulieren, um eine optimale Auslegung des Produktionssystems und eine produktionsgerechte Produktgestaltung zu gewährleisten. Die simulationsbasierte Planung erhöhe den Reifegrad der Fertigungslinie bei Produktionsstart und trage dadurch zu einem reibungslosen Produktionsanlauf bei, sagte Haße.
Schwerpunkt des ersten entwickelten Demonstrators war die Integration von SysML-Modellen in das PLM-System CIM Database von Contact Software und die Adaption vertrauter PDM-Funktionen wie Versionsverwaltung, Freigabe- und Änderungsmanagement oder Konfigurationsmanagement auf die Modell-Artefakte. „Wir haben den Nachweis erbracht, dass die Artefakte aus SysML grundsätzlich in PLM abgebildet und verwaltet werden können“, betonte Dr. Patrick Müller von Contact Software bei der Vorstellung des Demonstrators. Bahnbrechend neu sei die Möglichkeit, semantische Netze, wie sie für die Verwaltung der Modellbeziehungen erforderlich sind, mit den klassischen Stücklistenstrukturen zu verknüpfen, um sie dann für das Daten- und Prozessmanagement im PLM wirksam werden zu lassen. So ergeben sich neben dem Nutzen im SysML-Modellmanagement große Effizienzpotenziale im Änderungswesen, Projektmanagement und der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit, wie Müller weiter ausführte.
Die PLM-Integration der modellbasierten Entwicklung ist vielleicht nicht das wichtigste Ergebnis von mecPro2. Sie war für das Projekt und die 71 Mitstreiter in den verschiedenen Arbeitsgruppen aber insofern von großer Bedeutung, als sie ihnen deutlich machte, dass ihre Ideen funktionierten. Außerdem haben die beiden Demonstratoren Vorbildfunktion für die Weiterentwicklung der PLM-Systeme in Richtung Systems Lifecycle Management. Hier gibt es laut Koch noch viel zu tun, und Eigner ergänzt: „Die Zukunft von PLM ist föderativ. Die Informationen liegen nicht mehr in einem monolithischen PLM-System, sondern verteilen sich über autonome Systeme und werden intelligent verlinkt.“
Wegweisende Beschreibungssystematik
Eines der Handlungsfelder, in das die Arbeitsgruppen sehr viel Zeit investierten, war die Spezifikation eines klar strukturierten Referenzprozesses für die Entwicklung cybertronischer Produkte und Produktionssysteme. Dazu wurden zunächst die bestehenden Prozesse für die Mechatronik-Entwicklung bei verschiedenen Automobilherstellern und -zulieferern erfasst und vereinheitlicht. Dann ergänzte man diesen konsolidierten Prozess um zusätzliche Module und Aktivitäten. Ein neues Modul für den Kernprozess der Entwicklung cybertronischer Produkte ist etwa der Digitale Zwilling; für die Planung der Produktionssysteme gibt es unter anderem neue Module für die Planung der Steuerungslogik oder der Zustandserfassung. Insgesamt setzt sich der Referenzprozess aus 55 Modulen mit mehr als 200 Aktivitäten zusammen, die über standardisierte Schnittstellen Informationen mit anderen Modulen/Aktivitäten austauschen. Ein wichtiges Projektergebnis ist laut Eigner die Definition einer Beschreibungssystematik für die Modellierung cybertronischer Produkte und Produktionssysteme in SysML, die das oben beschriebene Prozessrahmenwerk ergänzt. Es handelt sich um eine Art Verfahrensanweisung, welche SysML-Elemente wie verwendet und in welcher Reihenfolge sie erzeugt werden sollen. Damit können sowohl die Produkte als auch die dazu gehörige Fertigungslinie beschrieben werden, so dass die Informationen zwischen Produkt- und Produktionssystementwicklung sehr einfach ausgetauscht werden können. Das ist in dieser Form einzigartig, weshalb die neue Beschreibungssystematik in die entsprechenden Normungsgremien eingebracht werden soll.
A propos Normung: Aktuelle Standards decken weder die Bedarfe der Interoperabilität zwischen SysML-Autorenwerkzeugen ab, noch berücksichtigen sie die Spezifika von PLM-Anwendungsfällen wie in mecPro2 untersucht. Deshalb wurden bei der Entwicklung der beiden Demonstratoren unterschiedliche Wege bestritten. Contact Software entwickelte zusammen mit :em engineering methods eine Schnittstelle zwischen CIM Database PLM und dem Cameo Systems Modeler, während Siemens die Artefakte aus Cameo über das Visio-Plug-in in Teamcenter integrierte. „Wir wollen einen Datenaustausch-Standard schaffen, um beispielsweise eine SysML-Architektur schneiden und in Teilen an verschiedene Zulieferer übergeben zu können“, sagte Eigner im Gespräch mit Pressevertretern.
MBSE bedeutet einen Kulturwandel
Die modellbasierte Entwicklung erfordert nicht nur neue Werkzeuge und Standards, sondern auch ein anderes Denken und organisatorische Veränderungen in den Unternehmen, wie Tim Weilkins, Co-Autor der SysML-Spezifikation, in seiner Keynote sagte. Deshalb sei MBSE nicht in einem Schritt erreichbar. Wichtig sind aber auch die Menschen. Die Frage, wie man die Mitarbeiter auf den langen Marsch zur modellbasierten Entwicklung mitnehmen kann, ist Gegenstand weiterer Forschungsprojekte . Die Unternehmen könnten nicht darauf warten, bis die ersten Generationen junger Generalisten mit breitem System-Know-how von den Hochschulen auf den Arbeitsmarkt drängen, sondern müssten ihre eigenen Mitarbeiter weiterbilden, sagte Koch. Dabei können sie auf die Unterstützung der Gesellschaft für Systems Engineering e.V. (GfSE) bauen, wie der GfSE-Vorsitzende Sven-Olaf Schulze betonte.
In den Unternehmen besteht ein wachsender Bedarf für die modellbasierte Entwicklung, der sich auch an dem massiven Zulauf zum Tag des Systems Engineerings ablesen lässt. Etwa 380 Besucher nahmen an der mehrtätigen Veranstaltung teil, welche die GfSE in diesem Jahr bei dem Gastgeber Schaeffler ausrichtete und in deren Anschluss die mecPro2-Ergebniskonferenz stattfand. Das Projekt könne herausragende Resultate vorweisen, lobte Schulze. co

Das Konsortium

INFO

Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt mecPro2 wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut. Das mecPro²-Konsortium setzt sich aus vier Kategorien von Partnern zusammen: Anwendungsunternehmen, Forschungsinstituten, Beratungsunternehmen und System-anbietern. Industrielle Partner waren:
  • Contact Software GmbH
  • Continental AG
  • :em engineering methods AG
  • Daimler AG
  • Schaeffler Technologies AG & Co. KG
  • Siemens AG
  • Siemens Industry Software GmbH
  • Unity AG
Universitäre Partner waren:
  • Fachgebiet Kraftfahrzeuge (TU Berlin)
  • Lehrstuhl für Fertigungstechnik und Betriebsorganisation Kaiserslautern (TU Kaiserslautern)
  • Lehrstuhl für Konstruktion im Maschinen- und Apparatebau (TU Kaiserslautern)
  • Lehrstuhl für Virtuelle Produktentwicklung (TU Kaiserslautern)
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