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Sicherheit an Vertikalachsen

Von der Risikobeurteilung bis zur Implementierung
Sicherheit an Vertikalachsen

In der automatisierten Fertigung werden schwere Teile nicht nur horizontal, sondern über Vertikalachsen auch hinauf und hinunter bewegt. Was auf den ersten Blick wie eine bloße weitere Bewegungsrichtung erscheint, zieht umfangreiche Sicherheitsforderungen nach sich.

Ob integrierte Halte- und Sicherheitsbremsen in Antriebsmotoren an Vertikalachsen ausreichend Schutz bieten oder zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind, muss bei Neumaschinen im Rahmen einer Risikobeurteilung ermittelt werden. Laut Maschinenrichtlinie muss jeder Hersteller die potenzielle Gefahr über den Performance Level (PL) einstufen, entsprechende Maßnahmen zur Reduzierung des Risikos ergreifen und dies verifizieren – auch für unterschiedliche Betriebsarten. In effizienten Lösungen kommen vermehrt antriebsintegrierte Sicherheitsfunktionen zum Einsatz.

Bei horizontalen Bewegungen kann man davon ausgehen, dass im energielosen Zustand keine Gefahr für den Bediener mehr besteht. Das reicht bei Vertikalachsen aber nicht aus, um den so genannten „Sicheren Zustand“ zu erreichen. Die in Antriebsmotoren integrierten Haltebremsen bieten nur bei geringfügigen Gefährdungen einen ausreichenden Schutz gegen das unkontrollierte Absinken hängender Lasten. Eine kritische Reduzierung des Bremsmomentes, aufgrund von Verölung, Staubbildung und mechanischem Bruch oder Verschleiß, kann nicht erkannt werden. Ist prozessbedingt der Schutz durch eine Haltebremse nicht gewährleistet, sind steuerungstechnische oder weitere mechanische Maßnahmen zur Reduzierung des Risikos notwendig.
Risikoeinschätzung, Maßnahmen und Verifikation
Eine spezielle Norm zur Beurteilung der Gefahren an Vertikalachsen gibt es derzeit nicht, wohl aber die Verpflichtung des Betreibers eine Risikobeurteilung laut Maschinenrichtlinie zu erstellen. Dazu gehören die Einschätzung der Gefahren mit Hilfe des Performance Level (PL), das Ausfallverhalten der eingesetzten Geräte sowie Maßnahmen zur Risikominderung und ihre Verifikation. Allgemeine Hinweise zur Durchführung der Risikobeurteilung folgen aus der DIN EN ISO 12100:2010. Im Anhang B sind mögliche Gefahrensituationen und Schutzmaßnahmen aufgelistet, die in Betracht zu ziehen sind.
Die Einschätzung der Gefahren an Vertikalachsen hängt im Wesentlichen davon ab, ob sich der Bediener mit Händen und Armen oder seinem kompletten Körper unter der Vertikalachse befindet. Weitere Aspekte, die mit einfließen, sind Häufigkeit und Dauer der Risikoexposition und die Möglichkeiten eine Gefährdung zu verhindern. Aus der Summe dieser Faktoren ergibt sich der für die Einschätzung erforderliche Performance Level. Die Einstufung nach EN ISO 13849–1 reicht von einem niedrigen (PL a) bis zu einem hohen Risiko (PL e).
Die Bewertung nach EN ISO 13849–1 beinhaltet nicht nur das Grundgerüst der Steuerungskategorie (wie bei der Vorgängernorm EN 954–1) sondern auch quantitative Größen. Dazu gehören unter anderem die mittlere Zeit bis zum gefahrbringenden Ausfall eines Kanals in Jahren (MTTFd -Wert) und der Diagnosedeckungsgrad in Prozent (DC). Um einen bestimmten Performance-Level zu erreichen, gibt es je nach Kategorie und der Höhe von MTTFd und DC unterschiedliche Wege. Das bietet dem Anwender die Option, bestimmte Maßnahmen und für ihn erreichbare Werte so zu kombinieren, dass sie seinen Möglichkeiten für Sicherungsmaßnahmen am nächsten kommen.
Unterschiedliche Betriebsarten absichern
Zur Risikobeurteilung gehören auch die Festlegung von Maschinengrenzen wie Verfahrbereichen, Lebensdauer und Wartungsintervallen sowie Betriebsarten und Eingriffsmöglichkeiten durch den Bediener. In der automatischen Betriebsart sind alle Bewegungen der Vertikalachse nur mit geschlossener und verriegelter Schutzeinrichtung mit Zuhaltung erlaubt. Wird die Schutztür geöffnet, erfolgt zum Beispiel ein „Sicherer Stopp 2“ (SS2). Das heißt, der Antrieb wird geregelt heruntergefahren und dann ein „Sicherer Betriebshalt“ (SOS) eingeleitet. Hierbei bleiben alle Regelfunktionen erhalten und die Stopp-Position wird überwacht. Zu kleine oder zu große Geschwindigkeiten in der Bewegung der Vertikalachse können ebenfalls zu einer Gefährdung führen. In diesem Fall greift die Funktion „Sicherer Geschwindigkeitsbereich“ (SSR) und löst notfalls „Sicherer Stopp 1“ (SS1) aus, bei dem die Energiezufuhr unterbrochen wird.
Steht der Betriebsartenwahlschalter auf „Einrichten“, sind Bewegungen bei geöffneter Schutzeinrichtung mit Zuhaltung und aktiver Zustimmfunktion unter einem verringerten Risiko möglich. Auch hier wird die Geschwindigkeit sicher überwacht und notfalls ein „Sicherer Stopp 1“ (SS1) eingeleitet. Im Einrichtbetrieb sind zusätzliche Maßnahmen nach EN ISO 10218–1, DIN EN 12417 vorgeschrieben. Außerdem muss bei geöffneter Schutztür das unerwartete Anlaufen der Vertikalachse sicher verhindert werden.
Welche Maßnahmen bei unterschiedlichen Betriebsarten nicht nur sicher sondern auch effizient arbeiten, zeigt Pilz mit der Safe Motion Lösung PMCprotego DS; eine Kombination aus Servoverstärker und steckbarer Sicherheitskarte. Sie beinhaltet insgesamt elf Sicherheitsfunktionen, die alle gebräuchlichen Anforderungen der Maschinenrichtlinie nach IEC 61800–5–2 erfüllen und bis PL e nach EN ISO 13849–1 bzw. SIL CL 3 nach EN/IEC 62061 ausgelegt sind. Optional kann über einen externen Geber eine Achsbruchüberwachung realisiert werden. Mit dieser kann der zusätzliche Fehlerausschluss der Mechanik entfallen.
Sicherheitsfunktionen für Vertikalachsen
In Abhängigkeit des notwendigen PL ist ein entsprechendes Bremsenkonzept zur Reduzierung der Gefährdung notwendig. Als wirtschaftliche Funktion kann in vielen Fällen der „Sichere Bremsen Test“ (Safe Brake Test – SBT) eingesetzt werden. Eine kritische Reduzierung des Bremsmomentes, aufgrund von Verschmutzung oder mechanischem Verschleiß, kann auf diese Weise sicher erkannt werden.
Durch den sicheren Bremsentest kann die Sicherheit sowohl von Einzelbremsen als auch doppelt ausgeführten Bremsen gesteigert werden. Mit diesem zyklischen Bremsentest, der mit einem zusätzlichen Lastmoment nach Kategorie 2, EN ISO 13849–1 erfolgt, können ebenfalls Fehler in der Ansteuerung der Bremse aufgedeckt werden. Je nach Anwendung und Forderung aus der durchgeführten Gefahrenanalyse wird dieser entweder einmal in jedem Produktionszyklus oder alle 24 Stunden selbsttätig durchgeführt, spätestens aber vor der Deaktivierung der Zuhaltung.
Sichere Bremsenansteuerung
Die „Sichere Bremsenansteuerung“ (SBC) ist neben dem „Sicheren Bremsentest“ eine der wichtigsten Funktionen für Vertikalachsen. Die sichere Bremsenansteuerung hat mehrere Funktionen integriert, die das sichere Schließen aber auch das sichere Öffnen der mechanischen Bremsen kontrolliert. Das sichere Schließen wird durch eine sichere Unterbrechung der Leistungszuführ in Kombination mit dem Erfassen des erregenden Stromes erreicht. Das sichere Öffnen wird anhand einer Stromaufnahmen-Plausibilisierung berechnet.
Unabhängig von der Art der Ansteuerung hat eine mechanische Bremse Verschleiß, wenn diese dazu eingesetzt wird die Bewegung zu stoppen. Aus diesem Grund ist auch ein „Sicherer Stopp“ dem „Not-Halt“ vorzuziehen, denn so werden die mechanischen Bremsen möglichst wenig belastet – sofern es die Risikoeinschätzung erlaubt.
Eine weitere relevante Sicherheitsfunktion an Vertikalachsen ist die „Sicher begrenzte Position“ (SLP). Sie überwacht vorab definierte Endlagen und schaltet den Antrieb bei einer Grenzwertverletzung sicher ab. Ergänzende Maßnahmen zur Risikominderung sind die Unterbrechung der Energieversorgung mit „Sicher abgeschaltetes Moment“ (STO) und Funktionen, die primär das Einrichten betreffen wie „Sicher begrenzte Geschwindigkeit“ (SLS), „Sichere Bewegungsrichtung“ (SDI) sowie „Sicher begrenztes Schrittmaß“ (SLI).
Redundante Absturzsicherung
Bei geringer Gefährdung und kurzer Aufenthaltsdauer unter der Vertikalachse genügt eine einzelne Bremse. Befindet sich der Bediener jedoch mit dem ganzen Körper unter der Last und die zeitliche Risikoexposition ist deutlich größer, wird sowohl im Automatikbetrieb als auch beim Einrichten eine redundante Absturzsicherung nach Kategorie 3, EN ISO 13849–1 gefordert. An der Achse beziehungsweise im Motor ist in der Regel aber nur eine Bremse vorhanden; eine zweite muss also integriert und angesteuert werden. Zur Gewährleistung der Sicherheit müssen die redundanten Bremsen einzeln angesteuert und beim sicheren Bremsentest auch einzeln geprüft werden. Eine Bremse muss dabei die Haltekraft für die gesamte Gewichtskraft aufbringen. Die redundante Ansteuerung der Bremsen ist im Servoverstärker mit integrierter Sicherheitskarte PMC Protego DS enthalten.
Bei der Ansteuerung von Halte- oder Sicherheitsbremsen ist in einigen Fällen eine externe sichere Bremsenansteuerung ratsam oder sogar zwingend notwendig. Wenn der aufgenommene Strom zu groß, die Verlustleistung der Bremse reduziert werden soll oder zwei Bremsen an einem Ausgang zu betreiben sind, bieten Standard Systeme oft keine Lösung. Für diese Anforderung bietet Pilz mit dem neuen Sicherheitsrelais PNOZ s50 eine Lösung für die „Sichere Bremsenansteuerung“ (SBC). Da es für die zeitgleiche Ansteuerung von zwei leistungsstarken Bremsen unterschiedlicher Hersteller eingesetzt werden kann, entfällt nicht nur eine weitere Steuerung mit meist aufwändiger Verdrahtung. Das neue Sicherheitsrelais kann auch zum Nachrüsten bereits bestehender Halte- und Sicherheitsbremsen eingesetzt werden.
Durch die einstellbare Übererregung können Öffnungszeiten von mechanischen Bremsen deutlich verkürzt oder in akustisch kritischen Anwendungen die Geräuschentwicklung durch eine Langsam-Abschaltung reduziert werden. Dank der Möglichkeiten, einzelne oder redundante Bremssysteme bis zu 6 A Nennstrom sicher und flexibel anzusteuern sowie sicher testen zu können, kann eine Absturzsicherung bis PL e nach EN ISO 13849–1 verwirklicht werden. Insgesamt stellt das System eine effiziente Kombination für alle Anwendungen von kostengünstigen Lösungen bis zu höchsten Sicherheitsanforderungen an Vertikalachsen dar.
Pilz, Ostfildern; E-Mail: s.skaletz-karrer@pilz.de;
Tel. 0711 3409-7009; www.pilz.de
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